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Samstag, 11. Mai 2013

Paul Auster: Die Musik des Zufalls


Die Musik des Zufalls
Autor: Paul Auster
Erscheinungsjahr 1994
Verlag: rororo
ISBN  3-499-13373-3


Als Jim Nashe von seiner Frau verlassen wird, ändert sich schlagartig sein ganzes Leben: er macht eine Erbschaft, bringt seine 4jährige Tochter zu seiner Schwester und deren Familie, kündigt seinen Job bei der Bostoner Feuerwehr und kauft sich ein Auto. Da er noch nie einen Neuwagen besessen hat, wird das Fahren für ihn zur Obsession. So fährt er über ein Jahr lang durch Amerika und ist bis auf einen kleinen Rest der Erbschaft völlig abgebrannt und ziellos.
Wie durch Schicksal liest er eines Tages einen jungen Mann am Straßenrand auf, der übel zugerichtet ist. Jack Pozzi - genannt Jackpot - erzählt ihm eine wüste Geschichte über ein Pokerspiel, Glück und Pech, und einen kleinen Einsatz, um wieder ins Spiel zu kommen. Ehe Jim Nash es sich versieht, steckt er in einem Strudel aus absurden Situationen, die ihm erst nach und nach das wahre Ziel seines Lebens zu offenbaren scheinen...

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Paul Auster zeichnet den Charakter seines Protagonisten Jim Nashe mit feinen Linien. Nach kurzer Zeit schon ist einem die Hauptfigur so nahe, als kennte man Nash persönlich. Weniger ist es wohl Symathie, die man für dem verschrobenen Einzelgänger emfindet, als mehr das Gefühl, durch ein seltsames Band mit ihm verbunden zu sein.

Die Geschichte entwickelt sich stetig, steht zu Anfang Nashs Bessenheit im Vordergrund. Eine rastlose Suche nach dem eigenen Selbst, dem Sinn des Lebens, die den Leser sowohl in den Bann zieht, als auch auf nervöse Weise abstößt. Atemlos sitzt man auf dem Rücksitz und betrachtet Nashe, wie er von Motel zu Motel fährt, scheinbar nicht fähig sich seiner Zukunft zu stellen, Ruhe zu finden und innezuhalten.

Doch Nashe macht Stationen: so fährt er ein Mal im Monat zu seiner Schwester, um seine kleine Tochter zu besuchen, der er fremd ist, wie er auch eine Beziehung einzugehen sucht mit einer Frau, die fest im Leben steht. Doch nachdem er auch hier Rückschläge in Kauf nehmen muß, weiß er nichts mehr mit sich anzufangen, und die Obsession zu Fahren wird zu einem Wahnsinn. Erst als er auf Jack Pozzi trifft, scheint sich alles zu wenden, wie eine glückliche Fügung. Der junge Mann vertraut Nashe sein Leben offenherzig an, als wären die beiden alte Bekannte.

Und hier wendet sich die Geschichte, die bisher nur einen einzelnen Mann in den Vordergrund rückte. Nun gibt es nicht nur Nashs rastlose Suche, sondern auch Pozzis waghalsige "Alles oder nichts"-Strategie, die das Leben des jungen Mannes bisher bestimmte. Und Nashe läßt sich mitreißen, vom Fleck weg.
 Dem Leser wird nun eines auferlegt: abzuwägen ob das, was er liest, der Wahrheit entspricht, oder ob alles eine gut durchdachte, gut durchspielte Lüge ist. Der Außenstehende, man selbst, gerät in einen Strudel aus Mißtrauen und Ablehnung, wird jedoch von den Hauptfiguren in eine Handlung gedrängt, der man sich völlig vergeblich entgegensträubt. Somit wird die innerliche Anspannung, wie alles sich entwickelt, zu einem Drahtseilakt der Gefühle, und man findet sich in einer ähnlichen Situation wie Nashe, den die Sucht nach dem Fahren nicht zur Ruhe kommen läßt, und auch wie Pozzi, der vom Pokern beherrscht wird.

Als die beiden Männer zu Pozzis verabredeten Pokerspiel mit zwei seltsam anmutenden Millionären (Flower und Stone) fahren, wird spätestens hier das Unbehagen, das sich im Laufe der Geschichte beim Leser aufbaut, ins Unerträgliche gesteigert. Der Gedanke, das irgendetwas nicht stimmt, läßt einen nicht mehr los - und so ist es nicht allzu verwunderlich zu entdecken, das man sich mehr und mehr mit Jim Nashe identifiziert, auf eine unbehagliche und doch wohlige Weise.

Auch birgt die Geschichte viel philosophischen Tiefgang, ruft allein die Betrachtung Nashs der erworbenen Fundstücke - ein Zigarrenstummel Churchills beispielsweise oder auch ein von Babe Ruth getragenes Sweatshirt - und die damit verbundene Erkenntnis, das alles zusammenhanglos gekauft und angehäuft wurde, einen Gedankenstrudel hervor. So erscheint auch Nashe nichts weiter als ein Sammlerobjekt, wahllos erworben und abgelegt, ohne jeglichen Zusammenhang zum Leben selbst oder zum Ort des Geschehens.
Auch Stones Miniatur-Stadt "Die Stadt der Welt" - ein Modell der Stadt, in der Stone und Flower lebten, ehe sie zu Millionären wurden - mit all den seltsamen Szenarien und Figuren, erscheint wie ein Sinnbild für das Gefangensein in sich selbst, als betrachte man sich von außen und hätte keinerlei Einfluss auf sein Tun.

Die widersprüchlichen Emotionen, die es Auster hier hervorzurufen gelingt, das ständige Unwohlsein und Mißtrauen, wie auch das stetige Getriebensein, die Hoffnung auf Glück, darauf das alles sich endlich zum Guten wenden mag, beschlagnahmen den Leser und rufen eine nervenzerreißende Spannung hervor. Mit viel Zeit fürs Detail, ohne jemals abzuschweifen, zeichnet der Autor ein Bild innerer Zerrüttung und dem Wunsch nach einem erfüllten Leben.

Und so wächst nicht nur die Mauer stetig, die Nashe und Pozzi für die exzentrischen und ein wenig tumben Millionäre bauen müssen, sondern auch die Erwartung in ein glückliches, befriedigendes Ende der ganzen Sache, die so absurd an sich anmuten mag, doch sich fast sichtbar schon vor den eigenen Augen abzuspielen scheint. Wie die Mauer sich Stein um Stein zusammenfügt, beständig und mühsam, so locker und leicht behält Auster seinen flotten Erzählstil bei. Mag die Story noch so schnell gelesen sein: der Kopf hält danach noch lange nicht still!

Must read!

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